“Die beste Kritik ist immer, es besser zu machen. Es gilt als weltweit erster Versuch seiner Art. Parallel zur Entstehung von Facebook und dem Web 2.0 wurden ab dem Jahr 2004 prototypisch und von einigen dutzend Wiener Akteuren Methoden einer Kultur freier Selbstorganisation und Schwarmintelligenz, die sich im Internet schon bewährt hatten, auf ein konkretes Förderszenario für die Szenen der lokalen digitalen Künste und Kulturen übersetzt. Als bewusst angestrebter Nebeneffekt emergierte eine selten diverse, technologisch und technophilosophisch geprägte “Meta-Community” aus lokalen und internationalen Akteuren, von Netz-, Medien- und KonzeptkünstlerInnen bis zu digitalen Freiheitsaktivisten, von Sicherheitsexperten, die tagsüber für Banken arbeiten bis zu Medienheoretikern und Wirtschaftswissenschaftlern, von VJs und elektronischen Musikern bis zu Nerdkabarettisten, von international agierenden Netzwerkexperten zu Robotikern, die selbststeuernde Boote bauen, von Sozialutopisten bis zu jungen Programmiertalenten auf dem Weg zu ihrem ersten Start-Up.
Am Anfang stand die Notwendigkeit, durch kollektive Einbildungskraft (I. Kant) eine praktikable Alternative zum Modell der Sozial- und Datenflüssen zu imaginieren, wie man aus dem 20. Jahrhundert bei einer klassischen Kunstjury für den Bereich “Neue Medien” entwickelt hat.
Über die Jahre kam in Wien dann auch das alte Jurymodell wieder vermehrt zum Einsatz, allerdings mit internationalen anerkannten Namen besetzt und partizipativ gewählt. Im Jahr 2010 wurde das Experiment dann einer ersten sozialwissenschaftlichen Evaluierung durch die Firma fas-Research unterzogen.
Im Rückblick wurden unter dem Titel netznetz.net während einer Zeitdauer von fünf Jahren nicht weniger als 2,5 Millionen Euro innovativ “umverteilt”, wobei Finanzflüsse wo immer möglich mit Aufmerksamkeitsflüssen gekoppelt wurden. So bekamen mehr als 400 Akteure die Chance, ihre Projekte zu unterstützen, sich zugleich aber auch als Sub-Kuratoren ihrer eigenen Umgebung zu erfahren. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Prozess von einer hierarchischen Gremiums- oder Vereinsstruktur aus organisiert. So entstand, parallel zum “Wiener Internet”, eine neuer Wissens- und Produktionsraum im Stadtraum Wiens, neue Orte und innovative Projektideen wurde Zeit zur eigenständigen Entwicklung eingeräumt.
Manche sprechen mittlerweile von einer in ihren Sektoren am meisten bewunderten und am besten strukturierten Szenen Europas, wieder andere von enthemmten Sozialkannibalismus oder der Sichtbarmachung eines kontinuierlich eskalierenden Machtmissbrauchs von Seiten der Stadtverwaltung, wieder andere von einem konstruktiv-kommunikativen Gesamtkunstwerk auf der Höhe der Zeit und ihrer Technologien. Der Vortrag reflektiert die gemachten Erfahrungen zu Möglichkeiten und Grenzen von Interoperabilität zwischen Gruppen und geteilten Informationsräumen und stellt einige der Modellaspekte und geförderten Einzelprojekte aus diesem Prototyp einer “Förderung 2.0″ vor. Dazu gehören auf spieltheoretischer Analyse basierende Vergabemodelle, ein Valdierungsgremium zum Aufbau einer Gruppe von mehreren Hundert aktiven Mit-Förderern oder Methoden zur anonymisierten Erfassung von Vergabeflüssen in Realzeit. Das Wiener Experiment: Vom dritten Mann zur Selbstorganisation eines mehrwertigen Stadtraums.